Der Tanz des Heidenjungen
DER TANZ DES HEIDENJUNGEN
Es gab einmal grandiose Menschen. die im Laufe ihrer Generationen dahingelangten, einige tiefe Wahrheiten zu verstehen. Und auch gesegnet waren ihre Generationen, denn sie hatten keine, wie man es bezeichnet, örtliche Gesetzgebung, der man sich hätte unterwerfen müssen, statt dessen strebten sie vielmehr danach in Erfahrung zu bringen, ob es ein Gesetz des Kosmos und insbesondere eines der Natur gibt. Und obgleich nirgends etwas darüber geschrieben stand, war es dennoch ihre Sehnsucht, es zu verstehen und es zu erforschen, damit sie in Harmonie mit dem Leben bleiben könnten. Und gesegnet waren sie, denn sie waren gleichsam nicht verseucht von den Härten all der wie sich's gehört. Und in ihren Generationen gab es grandiose und weise Wesen. Weise? Deshalb, weil auch sie aus einer Schule hervorgegangen waren, im wahrsten Sinne des Wortes, von der sie zu ihren Leuten ...Wissen ... grandioses Wissen mitzurückgebracht hatten, nach dem es sie alle so sehr gehungert hatte. Und so wurde innerhalb ihrer Generationen diesen Söhnen und Töchtern der Familien die Wahlmöglichkeit gegeben, mit den Weisen mitzugehen.
Und von solch einem Kind handelt eine Geschichte.
Und diese Geschichte wird von diesem Kind in einem besonderen Augenblick ins Gedächtnis zurückgerufen, nämlich in dem Augenblick, als er bereit ist. Dem Henker gegenüberzutreten, der bereits eine schwarze Maske übergezogen hat.
Und der kleine Junge ist jetzt völlig in einer Erinnerung versunken und durch sie
unsterblich gemacht, und zwar in dem Augenblick, als der aus dem kleinen Jungen gewordene Mann für einen Gesetzesbruch bezahlen soll. Und das Gesetz jener Zeiten war, das Gesetz der Kirche. Nach diesem Gesetz war dieser Mann schuldig gesprochen worden, als Ketzer heidnische Riten zu praktizieren und den König der Unterwelt, den Satan. zu verehren. Der junge Mann steht aufrecht da... Er macht sich zum Hinknien bereit. Und gerade als er im Begriff ist, dies zu tun, kommt ihm plötzlich eine grandiose Erinnerung in den Sinn; und er erinnert sich an den Augenblick, als der Weise zu der Hütte seiner Eltern kam. Und dieser Weise schaute alle Kinder an, schaute allen in die Augen. und schenkte ihnen einen Stein. Als er zu dem kleinen Jungen trat. dem jener geheimnisvolle Weise voller Wunder vorkam, da schau¬te der Weise dem kleinen Jungen in die Augen und schenkte ihm einen Stein. Alle anderen Kinder öffneten geschwind ihre Hand, um das geheimnisvolle Geschenk zu begutachten. Und mit vielen ooohhhs und grossem Staunen fingen sie sofort damit an, sich zu überlegen, was sie mit ihrem köstlichen Geschenk alles tun könnten, nur der kleine Junge nicht....
Oh ich kann mich gut daran erinnern! Was auch immer es war, das ich in meiner Hand hielt, es konnte nicht so wunderschön sein wie jene Augen, in die ich blickte und wie jener Bart und jenes Haar, wild... es war wahrlich so wie der Wind, der sich in die Zeit hinein erstarren liess.
Und als er seine Augen nicht von dem Weisen abwenden wollte, da nickte der Weise, und der Mann erinnert sich daran, dass er mit grosser Freude nickte. So wurde der kleine Junge, der sich so genau daran erinnerte, aus der Familie erwählt und zog mit seiner Zustimmung los, um bei dem wilden Manne, dem geheimnisvollen Manne zu lernen.
Ahh. ich kann mich erinnern... ich erhielt ein... ich erhielt ein Lendentuch. brandneu, und ich hatte eine Haube und einen kurzen Lendenrock. Und ich wurde in dieses .. Tal geführt, so wunderschön, und ich kann mich klar daran erinnern. Es war gerade die Zeit, dass der Frühling in den Sommer übergegangen war. Und die Schmetterlinge und die Bienen und all die Dinge, die auf einer Wiese Zuhause sind, und Blumen. so hoch. dass sie mich an der Nase kitzelten. Doch sorgfältig achtete ich darauf den Fussspuren des Weisen zu folgen, der nichts zu mir sprach, sondern mich einfach durch diesen wundervollen Ort führte.
Er nahm mich zu diesem Strom mit. Ich blieb stehen und ahmte ihn nach und starrte in diesen Strom hinein, doch die ganze Zeit über wunderte ich mich. was er denn sah. Und dann warf er einen kurzen Blick zur Seite, und ich schaute hoch, und er drehte sich um und begann weiterzuwandern... nicht ein einziges Wort, nur das sanfte Auftreten jener Füsse, die kein Geräusch verursachten, ausser dass hin und wieder sein Wanderstab auf einen Stein auftraf.
Und wir gingen unter diesen grandiosen Baum... seine grossen Äste hingen weit über diesen Weiher. Und seine Wurzeln waren so gross, es schien, als sässe ein dicker Mann vor seinem Mahl. Nun, ich folgte dem Weisen nach... und er machte eine Pause unter diesem Baum... und schloss seine Augen, und sie verschwanden in seinem Kopf, und ich schaute einfach nur diesen grandiosen Baum an.
Kurz darauf öffnete der Weise seine Augen und ging über diese dicken festen Beine des Baumes, und ich tat mein Bestes, um grosse Schritte zu machen, aber ach, schliesslich musste ich doch drüberklettern. Und in der Tat, ich erinnere mich, er ging zu einem schattigen Gebiet, einer Meerenge. bevor sie sich dann zu einer rauschenden Wasserstelle ausweitete. Und er beugte sich hinunter und legte seinen Stab nieder, und er sagte: Komm.
Als ich neben dem Weisen stand, da roch er wie die Wiese, durch die wir gerade gekommen waren: wie frische ... zerriebene Kräuter... und gelbe Blütenpollen ... und ja sogar wie der Stich einer Biene, ich weiss das. Er deutete mir mit einer Handbewegung an, ich solle in diesen Weiher schauen. Wie ich mich erinnere, war dieser sehr seicht.
Und er sagte: Schau in das Wasser und was siehst du? Ich schaute in das Wasser und ich sagte: Ich sehe mich! Und er sagte: Was noch? Ich sehe mich ... und einen Wassertropfen. Er muss Jahrtausende alt sein. Ich sah etwas Silbernes, das wie ein Lichtstrahl quer über meinen Augen vorübersauste... und sind das etwa Steine?... Und ich sehe den Wassertropfen, der Jahrtausende alt ist, mit einem Silberlichtstrahl zurückkommen.
Nach meiner Antwort nickte der Weise. Ich machte mir gar nicht die Mühe zu fragen: Habe ich bestanden?... denn ich hatte ja überhaupt nicht gewusst, dass es ein Test gewesen war. Es war einfach, was ich sah. Wie weise die Jugend doch ist.
Und den ganzen restlichen Sommer über zeigte mir der Weise die Dinge des Lebens: die Geheimnisse einer Knospe und einer Blume, und eines strahlend bunten Schmetterlings... und der Wurzeln und Kräuter und der Dinge. die bitter und süss sind.
Und dann in jener einen wundersamen Nacht geschah es, dass ich eine ganze Nacht lange aufblieb. Da sass ich zusammen mit dem Weisen
- nicht ganz so gross wie er - und wir beobachteten ... und ich dachte, dass irgendein Zaubergeschöpf aus der Mitternacht hervorspringen und herbeikommen würde und den Weisen grüssen würde, dessen war ich mir ganz sicher. Also hielt ich die ganze Nacht Wache. Und der Weise? Da war ein Wind, noch nicht ganz um Mitternacht, und ich beobachtete ihn.... wie er durch jene zerzausten, verstaubten Haare blies, die der Weise hatte, und sie und der Wind schienen sich einen Kampf um Platz zu liefern. Und sein Bart wehte, und er lächelte. Worauf wartete er? Ich wusste es nicht. Und in der nächsten Nacht nahm er mich mit zurück in diesen Wald. tief und wunderschön. Und es hallte darin von sichtbaren und unsichtbaren Geschöpfen wider. Und der ganze Wald strömte einen Atem aus. der kühl und frisch war. Und er sagte zu mir: Wenn du irgend eines von diesen Dingen im Wald sein könntest, was würdest du am liebsten sein wollen?
Ich erinnere mich, dass ich herumrannte und in Erdlöchern nach jenen Geschöpfen Ausschau hielt, die darin wohnen, die man aber nie zu Gesicht bekommt... und ich rannte herum und versuchte, einen Blick von den Vögeln zu erhaschen. Ich sah einen, der mächtig schön war. Aber ich konnte einfach nicht zu einer Entscheidung kommen, was ich gerne sein würde! Und der Weise, nun, er muss die Zeit selbst sein niemals trieb er mich zur Eile an und niemals tadelte er mich. Und ich rannte umher und drehte Dinge herum und versuchte herauszufinden, was ich gerne sein würde!
Nun. schliesslich entdeckte ich einen kleinen Felsbrocken, auf dem ein wenig Moos wuchs. Und ich setzte mich nieder, und der Weise bat mich. mich auf die andere Seite zu setzen, damit das Moos atmen könnte ... ich hatte überhaupt nicht gewusst, dass es atmete, aber das tat es. Und ich dachte: Vielleicht wäre ich gerne Moos. Ich hatte ja nie gewusst. dass es lebendig war.
Und nachdem ich es mir genau angesehen hatte, und mir angesehen hatte, wie es da an dem Felsbrocken hing - und mir war klar, dass es mich angezischt hatte, weil ich auf ihm gesessen hatte... da entschied ich, dass das es überhaupt nicht war, was ich sein wollte!!! Und dann fiel es mir ein Ahh, ich hab's! Ich möchte jener Baum sein! Weisst du noch... der Baum, der die dicken, festen Beine hat, die weit in den Boden hineinreichen, so als würde er dort sitzen und den ganzen Tag lang trinken. Findest du nicht, dass er wie ein dicker Mann aussieht?'
Der Weise nickte: In der Tat, das tut er. In der Tat, das tut er.
Das würde ich gerne sein, aber nur für eine Weile. Ich weiss nicht, ob ich so wie er die GANZE Zeit dasitzen könnte. Sodann erhebt er sich voller Anmut, und ich springe auf, und munteren Schrittes wobei nur der Wanderstab ein Geräusch machte - gingen wir zu jenem Platz zurück. Ich konnte noch immer nicht mit einem grossen Schritt über jene Wurzel steigen. Und er sagte: Und das ist es wirklich, was du sein willst, ehh? Oh Jaa!! Das wäre ich gerne!"
Alsdann ... fing der Weise an, Rinde abzubrechen, und er legte einige Blätter auf die Seite, von denen ich welche auswählen sollte. Und als ich mir nur die grünen, die so wunderschön sind - bedenkt die Jahreszeit - nahm, da riet er mir, dass ich ebenso jene Blätter benutzen sollte, die aufgrund eines unglücklichen Missgeschicks auf den Boden gefallen waren... ich hatte ja gar nicht gewusst, dass ein Baum ein Unglück haben konnte! Ich tat also, was er gesagt hatte. Und als er all diese Dinge zusammengesammelt hatte, kratzte er den Lebenssaft von einer alten Wunde ab, und er nahm ihn mit zu dem Fluss. Und dort stapfte er solange umher. bis er Lehm gefunden hatte. Und dann machte er mit dem Lehm einen soliden Abguss, und zwar mit Händen - mit meinen Händen natürlich! - ich erinnere mich, wie er mir zeigte, wie ich meine Hände nass machen musste, und er sagte: Und jetzt... mache das Gesicht des Baumes.
Hmmm. Und ich tat es!!! Ich schaffte es!!! Es war so wundervoll ausser.. Wie würde der Baum sehen können? sagte er zu mir.
Ich wusste es nicht! So schlug er vor, dass ich zwei Löcher machen sollte. damit ich, wenn ich der Baum wäre, wenigstens sehen könnte. Und das tat ich dann auch! Und vorsichtig hoben wir die Maske hoch, und er ging zu einem besonderen Platz, und dort waren zuvor schon irgendwelche Dinge gewesen. ich jedoch war noch nie dort gewesen. Und dort tobte ein grosses Feuer in der Erde, und er nahm die Maske, und er legte sie in das Feuer Das wird sie ja ruinieren!!!
Der Weise wusste - ich erinnere mich -, dass ich enttäuscht war, denn ich wollte ihn nicht mehr ansehen und auch nicht die Maske, die verschwunden war. Ich tat eifrig beschäftigt damit, den Lehm von meinen Fingern und unter meinen Fingernägeln zu säubern, und damit, ganz und gar sauber zu werden, so als ob man mich irgendwo erwarten würde. Er lächelte einfach nur und drehte mir den Rücken zu.
Und nach einer Weile öffnete er die Türklappe auf dem Erdboden und er holte diesen ... Baum hervor. den ich gemacht hatte. Seine Farbe hatte sich geändert. Er nahm etwas Wasser und sprenkelte es leicht darauf mit seinen alten, knorrigen Fingern, die sich auf meiner Maske gut als Äste ausgemacht hätten ... und dann nahm er jenen Saft -ja, ich erinnere mich er nahm also den Baumsaft und erhitzte ihn langsam
und er tat noch etwas dazu, aber er sagte mir nicht, was das war. Und bevor die Maske völlig kalt geworden war, hatte er den flüssig gewordenen Saft genommen und ihn über die Maske gegossen. Und sie glitzerte und leuchtete, und sie roch ganz genauso wie der Baum, und er sagte: Bringe schnell die Blätter herbei. Ich brachte die Blätter, und er sagte zu mir: Und jetzt stecke sie auf die Maske. Stecke sie auf den Baum.' Und das tat ich, so gut ich es eben vermochte, natürlich; denn ich konnte mir ja auch nicht sicher sein. ob er sie nicht wieder in das Feuer Der Tanz des Heidenjungen werfen würde Als ich fertig war... sah sie dem Baum sehr ähnlich. Ich war ganz verwundert. dass ich dieses Ding gemacht hatte, aus der Erde und dem Baum und den Blättern, und es roch sogar wie der Baumsaft im Frühling.... Dem jungen Mann wird jetzt eine Haube über den Kopf gezogen. Und er ist sich der Menschenmenge und des Wassers und des Weihrauchs und des Glockengeläutes fast gar nicht gewahr. Er ist in der Erinnerung dessen, was mit seiner Maske geschah.
Der alte Lehrer führte ihn zu ... wie er es nannte, der Heiligen Stätte .... einem wunderschönen Ort, bewacht von einer Bataillon herrlicher Berggipfel und in deren Tiefen grandiose Bäume waren. Und dorthin waren seine Leute und Leute, die er nie gesehen hatte, gekommen. Und sie trugen Früchte herbei. Sie trugen Brot und Met herbei. Und sie waren von einer grossen Fröhlichkeit. Und ihre Leinengewänder waren sauber. Und sie trugen Blumenkränze in ihren Haaren, und Lorbeer um ihren Gürtel und auf ihrer Stimme. Und ein Lied erklang, welches das Tal erfüllte, währenddessen ein kleiner Junge beobachtete und wusste und erwartete. dass etwas Wundervolles geschehen würde.
Und während er die Parade der Alten und der Jungen beobachtete. die alle voll des Jubels und glücklich waren... da wurden plötzlich Trommeln geschlagen. Und der kleine Junge bekam es mit der Angst, denn er konnte nicht erkennen, woher sie kamen. Es klang, als würde die Erde bersten.
Und dann war da dieser Klang wie der eines jungen Mädchens. das eine Melodie singt, die nur der Wind zu diesem Orte tragen würde. Und dieser Klang schwebte über den Trommeln.
Und aus den Bäumen und aus den Felsmauern kamen die Leute hervor. Und sie waren mit Masken geschmückt, so wunderschön ein Schmetterling erschien da, dessen Gesicht und Flügel von der schönsten Farbe waren. die er je gesehen hatte. Und sie fingen zu tanzen an und bewegten sich wie Phantome auf dem Land. Und die Trommeln schlugen weiter. Und hervor kam eine Blume ... ein Vogel. ... hervor kam Weizen... der vom Kopf einer maskierten Wesenheit wegragte!... Er konnte von niemandem das Gesicht sehen, wenn da überhaupt Gesichter waren.
Die Geschöpfe erwachten zu Leben .. zu den Klängen der Trommeln, und es war so, als hätten all die Dinge, die es auf der Wiese gab, Beine bekommen und zu feiern begonnen, ich weiss nicht was, aber eben irgend etwas!
Nun, plötzlich dreht er sich um und macht grosse Augen: neben ihm steht ein grosses und majestätisch aussehendes Wesen. Keine Haare wuchsen in seinem Gesicht und seine Haut war wie Zimt, die Augenbrauen waren dicht und verbargen die Augen, die im Licht wie Saphire blitzten. Und er trug einen Ring um seine Stirn, und seine Haare, die sorgsam gepflegt und gekämmt waren, fielen weit über seine massiven und grossen Schultern hinab. Und er trug ein schlichtes Gewand, das nur am Halsausschnitt offen war... und das eingefasst war... mit geflochtenen Reben und Steinen und einer kostbaren Feder aus Azurblau... und er war barfuss.
Weihrauch... er wird stark, stärker. Man hat mich auf die Knie hinunter gestossen.
Was tat er denn da? Oh! Ich schaute zu ihm hinauf und sein Gesicht begann mit einem geheimnisvollen Licht zu erstrahlen. Lichtstrahlen aus jenen Augen... und von seinem Rücken hervor, wie aus dem Nichts heraus, reichte er mir die Maske, die ich gemacht hatte. Ob der Weise wohl wusste, dass er sie gestohlen oder weggenommen hatte?! Und würde er wohl Reue haben, wenn der Weise es herausbekäme? Er musste wohl im Bilde gewesen sein, denn er lächelte und sagte: Er sandte mich zu dir ... um dir dies zu geben. Trage sie!
Ich nahm meine Maske!!... und setzte sie auf... und ich stand auf und streifte von meinen Knien das Geröll weg, das dort wohl mein Leben lang gewesen sein musste. Und als ich meine Maske richtig aufsetzte. konnte ich vom Zentrum des Baumes heraus sehen!... ich fühlte meine Blätter!! Und die Trommeln wurden lauter... und diese Stimme, hoch droben, die ohne Atem zu holen eine Melodie sang. Und solche Schönheit tanzte da. Und die Verschwommenheit von ihnen allen war wie ein Zauber... und sodann - ich erinnere mich - ... ging ich Schritt für Schritt nach vorne, hinein in die Masse des Lebens, die mir da winkte. Und bald schon begann etwas im Innern meiner Baumrinde
- es muss der vom Frühlingssaft trunkene Baum gewesen sein - sich zu heben und zu senken und zu bewegen und zu knacken.... Ahhh... ich lebte den Baum... ich war gross und breit und hatte dicke, feste Beine... ich brach vom Weiher auf und gesellte mich zum Leben...
Wie viele? Wie viele Winter erlebte ich? und Frühling und Sommer.... und welche Geheimnisse hatte ich entschlüsselt, und wel¬ches Pulver habe ich zerrieben? Wie viele Tänze habe ich getanzt... unter einem Mond strahlend und orange und voll.... und plötzlich wurde ich sogar auch dies.
Was war der... letzte Winter? Oh, ich erinnere mich... alle von uns, dort an unseren Orten, gruben sich tief in die Erde ein, mit Fenstern, die nach draussen schauten... und mit Bäumen als unsere Dächer... und die grosse weisse Stille war gekommen... und den ganzen Winter über sagte man mir, ich solle beobachten und auf eine einzelne weisse Schneeflocke achtgeben, wie sie auf die Erde herabsteigt, und unter den Millionen, die herabfallen, sollte ich immer weiter diese eine Schnee¬flocke sehen... und das tat ich.
Und ich schaute durch die Fensterscheibe hinaus, und ich sah die grossen Bäume, die kahl ohne ihre Blätter des Frühlings und des Sommers und des Herbstes dastanden, und ich wunderte mich, ob ihnen wohl kalt sei. Wahrscheinlich nicht. Was war das Letzte, an das ich mich erinnere?... oh ja... der Morgen, an dem der Vogel kam... das war’s der Vogel! Er kam zum Fenster. Ich sah ihn an, beobachtete ihn und für einen Augenblick sah ich mich selbst, für einen Augenblick!... und als der Vogel wegflog, wusste ich, dass der Frühling nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Und schnell... schnell warf ich mir meinen Umhang über, band meinen Gürtel um und fand meine Sandalen und öffnete die schwere Türe, sie quietschte!... und die grosse weisse Stille kam herein! ... und das Feuer zischte!... und jemand sagte: Nein!
Und ich rannte hinaus... und ich erinnerte mich an die Schneeflocke. Ich konnte sie noch immer sehen! Ich wusste, wo sie war! Ich hatte sie nie vergessen! Meine Erinnerung war stark! Und als ich anfing, meine Sandalen anzuziehen .... Nein ... und ich warf sie weg und rannte los!... Und ich rannte, und ich konnte meinen Atem sehen. Da war es .das Leben!
Und ich rannte durch den Wald und ich wusste... dass der Frühling und das Grün und das Aroma ... in ihnen war und dass ihre Herzen schlugen!... dass der Lebenssaft strömte!... dass das Herz lebendig
war Und ich wurde... einer jener Bäume! Ich war jung. Der Frühling pulsierte durch meine Adern. Der Lebenssaft in meiner Seele war angestiegen! Ich war nie gestorben. Ich hatte einfach nur beobachtet. Ein junger Mann.... Ein alter Baum
Der Henker erhob sein Beil. Sie hatten dem jungen Mann mehrere Fragen gestellt, hatten ihn aufgefordert, seinem Heidenleben zu widersagen, das war das Wort, widersagen. Zu gestehen, dass er ein Sohn des Satans sei. Sie forderten ihn auf, allem zu widersagen... das er gelebt hatte.
Er hörte sie nie: Da war der Winter, und der Vogel, und die Schneeflocke.... und da waren der Lebenssaft, und die Bäume, und die Verheissung auf ein neues Leben. Und das Letzte, an das er sich erinnerte, bevor das Beil.. sein schönes Fleisch durchstiess... war, dass er der Baum war und dass der Lebenssaft in seiner Seele pochte
Dies ist eine wahre Geschichte.
Ramtha
Bearbeitet, 13.2.98 Andreas Kleindienst
Alle Ramtha Texte wurden durch seine Geistige Tochter mit dem irdischen Namen
JZ. Knight von Ramtha während 10 Jahren persönlich empfangen.